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Marktplatz LandKultur: Im ersten Teil unseres Gesprächs haben wir über die Situation der Erzeuger gesprochen: steigende Produktionskosten und Lieferengpässe bei Produktionsmitteln auf der einen Seite – sparende und kostensensible Verbraucher auf der anderen Seite. Und der Klimawandel mit seinen Herausforderungen an den Anbau. Die so genannte multiple Krise können die Erzeuger nicht alleine lösen. Welche weiteren Akteure würden Sie in der Pflicht sehen?
Johannes Bliestle: Bedenkenswert finde ich die Rolle der Medien, beispielsweise zu Beginn des Ukraine-Kriegs. Es sind oft die Feinheiten in der Berichterstattung, die zu einer Verhaltensänderung der Verbraucher führen – so wurden sehr gerne die schönen und dekorativen Obst- und Gemüseregale in Supermärkten gezeigt, im gleichen Atemzug mit den Themen wie Inflation und Lebensmittelteuerung. Für den Betrachter entsteht dann natürlich im Kopf das Bild: Hilfe, Obst und Gemüse ist wahnsinnig teuer geworden! Dabei sind genau das die Produktgruppen, die trotz aller Inflation im Preis nicht so stark gestiegen sind. Laut Zahlen der AMI (Agrarmarkt Informations‐Gesellschaft, Anmerkung der Redaktion) sind dies im Durchschnitt 4,8 % bei Gemüse und nur 0,5 % bei Obst. Das Ergebnis: Bundesweit wurde über 10 % weniger Obst und Gemüse gekauft – was übrigens Importware ebenso betraf wie einheimische Obst- und Gemüseprodukte. Ich meine, das hätte durch eine andere Bildauswahl in den Medien zumindest gemildert werden können. Oder im Hinblick auf die Zukunft gesprochen: Die Medien haben durch ihre Art der Berichterstattung eine nicht zu unterschätzende Verantwortung, wenn es um den Fortbestand des inländischen Anbaus von Lebensmitteln geht.
Marktplatz LandKultur: Viele schimpfen auch auf die Politik ...
Johannes Bliestle: Ich halte es für wichtig, die Themen der Erzeuger so deutlich und hartnäckig wie möglich dort anzubringen, wo politische Weichen gestellt werden. Als Vorsitzender der Bundesvereinigung der Erzeugerorganisationen Obst und Gemüse (BVEO) tue ich genau das, so gut ich kann.
Marktplatz LandKultur: Wie genau kann ich mir das vorstellen?
Johannes Bliestle: Die BVEO ist der übergeordnete Verband der bundesweit bestehenden Erzeugerorganisationen. Im Vorstand verfügen wir über eine sehr hohe Fachkompetenz, die im Dialog mit der Politik und den Ministerien hilfreich und wichtig ist. Wir arbeiten eng mit dem Ministerium für Landwirtschaft zusammen. Manche, aber leider bei weitem nicht alle Gesetzesentwürfe, die für Obst- und Gemüseproduzenten nicht praxistauglich sind, konnten wir abwenden oder an die Praxis anpassen. Es ist also eine klassische Lobbyarbeit, die wir hier leisten.
Marktplatz LandKultur: Es ist gut zu hören, dass diese Schnittstelle zwischen Erzeugern und Politik tatsächlich existiert und von kompetenten Menschen bearbeitet wird. Trotzdem schaut die Realität ja so aus, dass sehr viele Gesetze auf den Weg gebracht werden, die Landwirten einen fachgemäßen Anbau nicht unbedingt erleichtern. Gerade unlängst erzählte mir ein Gärtner von ungewöhnlichen Methoden der Düngung, zum Beispiel mit stickstoffbindenden Pflanzen, die zwischen den anderen Kulturpflanzen wachsen. Aus fachlicher Sicht ist das sehr sinnvoll, da man nicht nur Einkauf und Transport von Düngemittel reduziert, sondern zugleich Bodenfruchtbarkeit und Biodiversität steigert. Da diese Form der Düngung aber in keine Schublade der aktuellen Gesetze hineinpasst, darf er diese Strategie nur begrenzt anwenden. Woran liegt diese oft praxisferne Gesetzgebung aus Ihrer Sicht?
Johannes Bliestle: Das kann ich auch nicht umfassend beantworten. Ich sehe nur: Die Verhandlungen mit der Politik und den Ministerien sind nicht immer leicht. So gut die Beziehungen mit einzelnen Menschen auch sein können – wenn es uns darum geht, unsere konstruktive Kritik an Gesetzesentwürfen unterzubringen, scheinen sich die zuständigen Stellen bisweilen sehr beratungsresistent zu verhalten. Wir hören Antworten wie „dafür bin ich leider nicht zuständig“ oder im besten Fall „ja, Ihre Gedanken sind sehr interessant, ich nehme sie mal mit“. Und irgendwo auf dem Weg zwischen diesen Gesprächen und den fertigen Gesetzestexten geht Einiges verloren. Ich sehe auch, dass innerhalb der Ministerien das Personal immer wieder wechselt. Und die Themen, gerade wenn sie aus Brüssel kommen, sind ja sehr komplex und kompliziert. Wenn ich also einen Ansprechpartner habe, der Vieles über Jahre gelernt und verstanden hat, kann es sein, ein halbes Jahr später habe ich ein neues Gegenüber, der wieder Zeit benötigt, bevor die Phase des Erklärens in die Phase der Umsetzung gelangen kann.
Marktplatz LandKultur: Sie haben nun von den Herausforderungen in der Kommunikation zwischen Ihnen und dem Ministerium gesprochen. Wie erleben Sie denn die Kommunikation zwischen den Erzeugern und Ihnen als „Mittelsmann“ zur Politik?
Johannes Bliestle: Ich stehe als Geschäftsführer einer Genossenschaft in sehr engem Kontakt mit den Gärtnern. Fast alle meiner Vorstände und Aufsichtsräte sind Gärtner und ich meine, dass die Kommunikation hier recht gut funktioniert. Darüber hinaus versuchen wir immer wieder, Politiker ins direkte Gespräch mit den Erzeugern zu bringen. Hier habe ich oft den Eindruck, dass die Politiker die Anliegen der Praktiker und Erzeuger verstehen, allerdings wird unser gesamtes System durch immer mehr Bürokratismus gelähmt. Die Flut an immer neuen Anforderungen und Gesetzen überfordert unsere gesamte Branche. Das ist unser Hauptproblem.
Marktplatz LandKultur: Vielen Dank für diese Einblicke, die ja nur wenige haben. Ich möchte nun auf den Klimawandel zurückkommen, den Sie als weiteren Teil der multiplen Krise angesprochen haben. Können Sie hier Aspekte nennen, die Ihnen besonders wichtig erscheinen?
Johannes Bliestle: Mir kommt eine Lehrfahrt nach Italien vor ein paar Wochen in den Sinn, an der ich teilgenommen habe. In manchen Kulturen gab es hier fast vollständige Ernteausfälle; Brokkoli kam beispielsweise mit den extremen Temperaturschwankungen im Frühjahr nicht zurecht. In unseren Breitengraden sind Ernteausfälle aufgrund extremer Witterung noch etwas seltener. Im Blick auf die Zukunft sehe ich zunächst das Risiko steigen, dass Ware aus dem Ausland weniger zuverlässig geliefert werden kann. Dann sind unsere Gemüseproduzenten hier plötzlich in einer ganz anderen Situation. Sie konkurrieren nicht mehr mit preisgünstiger Importware – sondern müssen schauen, dass sie die Mengendefizite aus dem fehlenden Import gut ausgleichen können. Dazu wiederum braucht es an verändertes Klima optimal angepasste, innovative Anbaumethoden, und es braucht genügend Betriebe, die dafür gut aufgestellt sind. Was die Anbautechnik betrifft, erlebe ich unsere Betriebe als sehr fortschrittlich und zukunftstauglich. Aber sie brauchen auch ein politisches und gesellschaftliches Klima, das sie in ihren Aufgaben unterstützt.
Marktplatz LandKultur: Vielen Dank für das interessante Gespräch!