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Leitbilder der Landwirtschaftspolitik

„Bioökonomie ist nicht die ‚Bioecke‘ der Ökonomie“

von Annika Burger, 26. Juli 2024 Der scheinbar positiv besetzte Begriff „Bioökonomie“ ist in aller Munde und wird vielfach, auch auf politischer Ebene, als Leitbild für eine Landwirtschaft der Zukunft ausgerufen. Doch was verbirgt sich eigentlich hinter diesem Begriff und wie sieht es mit der konkreten Umsetzung in der landwirtschaftlichen Praxis aus?
„Bioökonomie ist nicht die ‚Bioecke‘ der Ökonomie“
Kulturlandschaft im Hochschwarzwald, Foto: Christoph Duepper

Landwirtschaft passiert vor unserer Haustür, diskutiert und entwickelt wird sie jedoch mitunter auf ganz anderen Ebenen. Landwirtschaftspolitik ist ein heißes Eisen, das von unterschiedlichen Leitbildern geprägt wird. Eines davon ist die Bioökonomie. Sie konzentriert sich auf die Nutzung von Biomasse als Rohstoff für die Produktion von biobasierten Produkten. Hierfür setzt die Bioökonomie allerdings auf eine industrielle und hochgradig technisierte Landwirtschaft. Daher warnen Kritiker und Befürworter der Agrarkultur, einem der Bioökonomie entgegengesetzten landwirtschaftlichen Leitbild, vor den Folgen einer zunehmenden Industrialisierung der Landwirtschaft, die die sozialen Aspekte missachtet und die natürlichen Grenzen der Erde weiterhin überschreitet.

Die 2020 verfasste Nationale Bioökonomiestrategie Deutschlands formuliert ihre Ziele wie folgt: „Wirtschaft und Gesellschaft sollen unabhängiger von fossilen Rohstoffen wie Kohle, Erdöl und Erdgas werden und Biomasse soll ausgewogen, effizient und umweltverträglich verwendet werden.“ Die Bioökonomie weist damit einen Weg auf für den Ausstieg aus dem fossilen Zeitalter. Was zunächst gut klingt, wird weltweit diskutiert. Kritiker mahnen an, die Grenzen des Wachstums würden nicht berücksichtigt. Ein 2020 veröffentlichter Beitrag von „Brot für die Welt“ bringt die Brisanz bei aller Theorie verständlich auf den Punkt: Bioökonomie stelle die Frage nach alternativ verfügbaren Ressourcen in den Mittelpunkt, „ohne den wirtschaftlichen Wachstumspfad samt seines Rohstoffverbrauchs grundsätzlich infrage zu stellen. […] Der Begriff ‚Bioökonomie‘ suggeriert etwas Positives und erinnert an die Biolebensmittel im Supermarkt. Aber Bioökonomie ist nicht die ‚Bioecke‘ der Ökonomie. Bioökonomie priorisiert technologische Antworten auf globale Herausforderungen wie Klimawandel, Hunger und Ressourcenknappheit, die aber im Kern sozioökonomische Probleme sind und tiefgreifende wirtschaftliche, institutionelle sowie kulturelle Veränderungen erfordern. Macht- und Gerechtigkeitsfragen sowie die Grenzen des Wachstums dürfen dabei nicht außen vor bleiben.“

Kulturlandschaft in der Vorbergzone zum Schwarzwald, Foto: Christoph Duepper
Kulturlandschaft in der Vorbergzone zum Schwarzwald, Foto: Christoph Duepper

Agrarkultur – Vielfalt der Landwirtschaft

Ein Gegenentwurf dieses, von Prof. Dr. Gottwald so genannten „agrarindustriellen Paradigmas“ ist die ökologische oder ökosoziologische Agrarkultur. Ihre Verfechter sind in der Praxis vor allem kleine und mittlere (landwirtschaftliche) Unternehmen. Sie fordern eine Politik, die die Vielfalt der Landwirtschaft unterstützt bzw. schützt. Zusammengefasst ist dieses Leitbild ein Ansatz der Landwirtschaft, der sowohl ökologische als auch soziale Aspekte berücksichtigt. Landwirtschaftliche Praktiken sollen umweltfreundlich sein und die natürlichen Ressourcen schonen. Gleichzeitig wird auch auf soziale Gerechtigkeit geachtet, indem faire Arbeitsbedingungen für die Landarbeiter geschaffen werden und die lokale Gemeinschaft in die Entscheidungsprozesse einbezogen werden. Durch die ökosoziale Agrarkultur soll eine nachhaltige und zukunftsfähige Landwirtschaft gefördert werden, die im Einklang mit Mensch und Natur steht. Im Gegensatz zur Bioökonomie, die ausschließlich unter industriellen Bedingungen möglich ist, ist die Agrarkultur unabhängig davon anwendbar. Der lebendige Organismus steht im Vordergrund, nicht die Biomasse.

Und in der Praxis?

Doch was heißt all das in der Praxis? Sind diese beiden Leitbilder, die sich in der Theorie gegenüberstehen, im Alltag einer Bäuerin oder eines Bauern überhaupt voneinander zu trennen? Ist nicht jeder kleine oder mittlere bäuerliche Betrieb auch den Dynamiken der Bioökonomie unterworfen, ob er möchte oder nicht? „Natürlich ist es gut, auf die Extreme zurückzugreifen, um Dinge zu erklären“, sagt Christoph Wasser, Initiator der Online-Plattform Marktplatz LandKultur, dazu. „Aber natürlich gibt es hier kein Schwarz und Weiß, natürlich machen die neuesten technischen Entwicklungen wie zum Beispiel die Künstliche Intelligenz (KI) keinen Halt vor der Landwirtschaft – und das sollen sie auch nicht. Neulich wurde mir zum Beispiel ein GPS-gesteuerter Schlepper vorgestellt. Das ist toll, wie genau er arbeiten kann und wie entsprechend gut die Kulturen dort dastehen. Aber dennoch gibt es diese bäuerliche Landwirtschaft in Südbaden, und die sollte auch erhalten bleiben.“ Man müsse schauen, wo man moderne Techniken gut einsetzen könne, ohne in eine Produktion zu kommen, die losgelöst ist von den natürlichen Zusammenhängen. Christoph Wasser betont: „Wichtig ist mir, dass die Individualität erhalten bleibt. Ich sehe so viel Kreativität, so viel gute Ideen, losgelöst vom Mainstream der Landwirtschaft. Diese Möglichkeit, als Landwirtin oder Landwirt kreativ zu sein, Ideen auszuprobieren und ggf. zum Erfolg weiter entwickeln zu können, das muss bei aller Industrialisierung der Landwirtschaft unbedingt erhalten bleiben.“ Unterstützen könnten das auch die Verbraucherinnen und Verbraucher: „Wer unsere Landwirtinnen und Landwirte hier vor Ort durch entsprechendes Kauf- und Konsumverhalten unterstützt, unterstützt auch die Vielfalt. Sowohl der Natur als auch unserer Lebensmittel und jener, die sie für uns produzieren.“

Christoph Wasser ist mit „Marktplatz LandKultur“ ein Vertreter der Agrarkultur. Unter dem Motto „Land – Leute – Werte“ möchte er mit seiner Online-Plattform und dem jährlich stattfindenden Höfe-Festival Verbraucher und Verbraucherinnen mit Landwirtinnen und Landwirten verbinden. Landwirtschaft und Kultur sind für ihn nicht voneinander zu trennen, denn Landwirtschaft ist ein „prägender Teil unserer Gesellschaft und Kulturlandschaft“, wie es auf der Online-Plattform heißt.

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