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Schwarzwälder Rinderrassen

Einzigartig und vom Aussterben bedroht

von Gabriele Hennicke, 29. Oktober 2021 Langlebig, anpassungsfähig, fruchtbar, leichtkalbig und weidetüchtig – das sind die Eigenschaften der Hinterwälder und Vorderwälder Rinder. Dieses Schwarzwälder Wäldervieh, das vom Keltenrind abstammen soll, zählt in Deutschland zu den gefährdeten einheimischen Großtier-Nutztierrassen.
Einzigartig und vom Aussterben bedroht
Hinterwälder Mutterkühe im Hochschwarzwald

Beide Rassen haben sich ideal angepasst an die Landschaft des Schwarzwalds – mit offenen Wiesen und Wald, Hochflächen, steilen Berghängen, engen Flusstälern und vereinzelt liegenden Gehöften. Für den Weidegang sind sie bestens geeignet. Hinterwälder sind mit einer Widerristhöhe von 1,20 Metern und einem Gewicht von 380 bis 450 Kilogramm die kleinsten mitteleuropäischen Rinder. Sie werden vor allem in den steilen Lagen des Südschwarzwalds zwischen Feldberg und Belchen gehalten und haben die dortige Landschaft über Jahrhunderte geprägt. Die Gründe dafür: Die Tiere sind sehr beweglich, geländegängig und verursachen wesentlich geringere Trittschäden an sensiblen Berghängen als schwerere Artgenossen. Auch haben sie sich mit der Zeit an das raue Klima angepasst und kommen mit dem Futter gut zurecht, das auf mageren Bergweiden wächst. Dennoch leben derzeit nur noch etwa 2.400 Hinterwälder-Rinder im Südschwarzwald. Von den größeren und schwereren Vorderwäldern hingegen gibt es noch mehr als drei Mal so viel. Mit einer Widerristhöhe von 1,35 Metern werden sie bis zu 650 Kilogramm schwer. Ihr Hauptverbreitungsgebiet liegt im mittleren Schwarzwald, wo es nicht so steil ist wie im Südschwarzwald.

Ausgleich bei geringeren Erlösen
Beide Rinderrassen liefern sowohl Fleisch als auch Milch, weshalb man von Zweinutzungsrassen spricht. Dabei fallen die Erträge in beiden Bereichen aber deutlich geringer aus als bei Rassen, die entweder auf die Milchleistung oder als reines Schlachtvieh gezüchtet wurden. Entscheidet sich ein Landwirt dennoch dafür, Wäldervieh zu halten, gleicht deshalb eine spezielle Förderung des Landes Baden-Württemberg den geringeren Verdienst teilweise aus. Zum Vergleich: Auf Milchleistung gezüchtete Kühe geben 10.000 bis 11.000 Liter pro Jahr. Diese Leistung lässt allerdings bereits nach wenigen Jahren nach, weshalb früh geschlachtet wird. Eine Vorderwälder-Kuh liefert hingegen etwa nur 6.000 Liter Milch, eine Hinterwälderin gar nur 3.500 Liter im Jahr. Dafür können diese Tiere zehn bis zwölf Jahre alt werden und bringen fast jedes Jahr ein Kälbchen zur Welt. Das Fleisch der Hinterwälder Rinder wird wegen seiner Feinfaserigkeit und Zartheit sehr geschätzt, es ist fein marmoriert und von besonderem Geschmack.

80 Prozent der Betriebe mit Hinterwäldern setzen auf Mutterkuh-Haltung und Fleischproduktion, während es sich bei den Vorderwäldern gerade umgekehrt verhält: 80 Prozent der Betriebe, die Vorderwälder halten, haben sich auf die Milchproduktion spezialisiert. Weitere Nutzungsarten, von denen die Menschen im Schwarzwald einst profitierten, spielen längst keine Rolle mehr: Die kräftigen Vorderwälder-Stiere wurden etwa vor der maschinellen Rodung als Zugtiere beim Abfahren von Holz aus steilen Waldgegenden eingesetzt. Durch ihre besonders harten Klauen konnten sie problemlos auf steinigen Wegen laufen. Die Hinterwälder-Kühe wiederum wurden auch zu Acker- und Feldarbeiten herangezogen, weil sich viele Kleinbauern im Südschwarzwald keinen Zugochsen leisten konnten.

Gerade knapp 500 Vorderwälder-Zuchtbetriebe gibt es noch, Hinterwälder züchten noch 230 Betriebe im Schwarzwald. Um eine der alten Nutztierrasse zu erhalten, schlossen sich deshalb bereits 1987 Landwirte, Züchter und Unterstützer zum „Förderverein Hinterwälder“ zusammen. Öffentlichkeitswirksam setzen sie sich für die Rasse und für ein bewährtes Zusammenspiel zwischen Tierhaltung und Landschaft im Schwarzwald ein.

Vorderwälder Kühe im Dreisamtal © Christoph Wasser
Vorderwälder Kühe im Dreisamtal © Christoph Wasser

Viehmärkte – wesentlich für die Zucht
Alle zwei Jahre braucht ein Züchter einen neuen Bullen. Sonst gibt es keinen Nachwuchs und damit letztendlich weder Milch noch fein marmorierte Steaks aus der Region. Die Rinderunion Baden-Württemberg veranstaltet deshalb jeweils im Frühjahr und im Herbst einen Hinterwälder-, alle zwei Monate einen Vorderwälder-Zuchtviehmarkt.

Auf diesen Viehmärkten begutachten Landwirte die zum Verkauf stehenden Tiere. Hier trifft man sich und tauscht sich aus. Rund hundert Besucher, hauptsächlich Landwirte, kommen bei solchen Veranstaltungen zusammen. Als Erstes werden die Tiere von Fachleuten nach Kriterien wie Milchleistung, Melkbarkeit, Fleischleistung und Körperform bewertet. Dann geht es in die Manege: In der Reihenfolge der Bewertung führen die Besitzer die zum Verkauf stehenden Jungbullen über die Wiese, begleitet von den Kommentaren des Auktionators, damit sich die Besucher ein Bild von den Rindern, ihrer Handhabbarkeit und ihrem Gang machen können. Doch nicht nur auf die Attraktivität des Viehs und das Engagement des Auktionators kommt es an. Auch der Zeitpunkt spielt eine Rolle. „Der Herbstmarkt läuft meist nicht so gut“, weiß Hildegard Schelshorn aus Bernau zu berichten, „die Züchter kaufen lieber im Frühjahr, wenn sie die Bullen direkt auf die Weide stellen können.“ Schelshorn ist die Vorsitzende des Fördervereins Hinterwälder und verweist darauf, dass Generationen von Landwirten mit Hinterwälder-Rindern den Südschwarzwald erst zu dem gemacht haben, was er ist. Gemeinsam mit den Experten vom Biosphärengebiet, zu dem die UNESCO den Schwarzwald 2016 ausgerufen hat, entwickelt der Verein deshalb unter anderem ein Vermarktungskonzept für Hinterwälder-Fleisch.

Kulinarische Aufklärungsarbeit und Forschung
Bereits zum zweiten Mal veranstaltete das Biosphärengebiet Südschwarzwald im Oktober 2020 die „Kulinarischen Hinterwälder Wochen“. Gastronomiebetriebe zwischen Schauinsland, Belchen, Feldberg und Hotzenwald kochten spezielle Gerichte mit Hinterwälder-Rind. Parallel dazu lief im Auftrag des Biosphärengebiets eine Studie, die den Rinderbestand aufnahm, Landwirte befragte und sich mit Vermarktungsmöglichkeiten und dem Potenzial des Südschwarzwälder Rindfleischs beschäftigte. Auch Handel, Gastronomen und Metzger wurden nach ihren Bedarfen befragt. Das Ergebnis lässt sich leicht zusammenfassen: Das Interesse ist ebenso groß wie der Wunsch nach einer zuverlässigen Verfügbarkeit und der Möglichkeit, auch in kleineren Mengen abzunehmen. „Wir Gastronomen wollen möglichst regionale Produkte verarbeiten“, sagt Volker Hupfer vom Hotel Waldfrieden in Todtnau-Herrenschwand. „Rindfleisch ist ein gefragtes Produkt, für uns ist allerdings ein flexibler, kleinteiliger Einkauf wichtig.“ Entsprechend wurde eine zentrale Vertriebsstelle eingerichtet, die dafür sorgt, den Handel und die Gastronomiebetriebe in der Region mit gleichbleibender Qualität zu beliefern. Auf diese Weise hofft man, einer alten Nutztierrasse eine Zukunft und regionalen Konsumenten Gaumenfreuden zu verschaffen.

Weitere Informationen unter hinterwaelder.com
und zusätzlich mit Urlaubs Hinweisen unter Schwarzwaldkuh.de

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