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Vom Ei bis zum Karpfen
Eine Million Eier legt ein Karpfenweibchen jedes Frühjahr. Auch wenn ein einzelnes Ei nicht größer als ein halber Stecknadelkopf ist – in der Summe macht das Gelege rund die Hälfte ihres Körpergewichts aus. In der Natur gilt als Faustregel: Alle sieben Jahre sind die Rahmenbedingungen so, dass ein guter Jahrgang an Fischbrut heranwächst. In den Fischzuchtbecken von Familie Riegger haben die Minifische jedoch bessere Chancen.
Im April werden die geschlechtsreifen Karpfen aus den großen Naturteichen gefischt und nach Geschlechtern getrennt in badewannengroße Becken im Bruthaus überführt. Mit einer Hormonspritze wird die Reifung der Eier auf wenige Stunden genau terminiert. Wenn es soweit ist, gibt Max Riegger ein paar Tropfen Nelkenöl ins Wasser, was die Tiere für wenige Minuten betäubt. Diese Zeitspanne muss genügen, um sie aus dem Wasser zu fischen und mit den Händen abzustreifen. Dabei entlädt sich die gesamte Eiermasse. Dann kommt das Karpfenweibchen zurück ins Wasser und auch schnell wieder zu Bewusstsein. Die Eier werden in einer Schüssel mit den Spermien mehrerer männlicher Karpfen gemischt; das Trennmittel Tannin verhindert, dass die klebrigen Eier zu einem einzigen Klumpen zusammenkleben. In einem so genannten Zugerglas werden sie kontinuierlich bewegt und mit frischem Wasser gespült. Bei einer Wassertemperatur von 24 Grad schlüpft nach etwa zwei Tagen die Brut und wird dann in ein Wasserbecken mit diversen Holzbrettern überführt; dort heften sich die Karpfenlarven fest. Wenn die Reserven im so genannten Dottersack aufgebraucht sind, lösen sich die Larven davon ab. Erst jetzt ist die Embryonalentwicklung der Karpfenbrut abgeschlossen und sie sind auf Nahrung angewiesen. Ausgewachsene Karpfen sind Allesfresser, die sowohl Kohlenhydrate als auch tierische Proteine verdauen können – in den ersten Tagen muss es jedoch Zooplankton sein, winzige Krebstiere, die in Süßgewässern leben. Nach etwa einer Woche ist ihr Nahrungsspektrum so groß, dass die Brut in einen Naturteich eingesetzt werden kann. Am Ende des Sommers sind die Karpfen zwischen 25 und 100 g schwer.
Fischzucht als Therapie für Ökosysteme auf der Kippe
Bereits seit mehreren Generationen widmet sich Familie Riegger im Seltenbachtal bei Ettenheim der Fischzucht. Die Vermarktung als Speisefische spielt keine Rolle – die Karpfen, Hechte, Zander u.a. werden allesamt lebend als Besatzfische verkauft. Die wichtigsten Kunden sind Anglervereine und private Teichbesitzer. Wenn es um die Beratung der Kunden geht, ist Senior Georg Riegger in seinem Element. Denn oft geht es um weit mehr als um den Verkauf von ein paar Jungfischen. „Das Ansiedeln bestimmter Fische kann man durchaus als Teil einer Therapie für belastete Gewässer sehen“, ist er überzeugt.
Durch intensive landwirtschaftliche Nutzung umliegender Flächen enthalten Gewässer mitunter hohe Mengen Nitrat. Als wichtiger Nährstoff fördert Nitrat das Wachstum von Algen und anderen Wasserpflanzen. Zum Winter sterben die Pflanzen ab und werden von Bakterien abgebaut, die für ihren Stoffwechsel Sauerstoff aus dem Wasser ziehen. Zum Frühjahr sprießen die Pflanzen erneut und bringen neuen Sauerstoff ein. Jedes funktionierende Gewässer zeigt folglich charakteristische jahreszeitliche Schwankungen des Sauerstoffgehaltes, die jedoch durch eine Überdosis von Nitrat aus der Bahn geworfen werden können: Ein zu starkes Pflanzenwachstum im Sommer hat zur Folge, dass der Abbau der abgestorbenen Pflanzenteile mehr Sauerstoff braucht, als das Wasser den Sommer über gespeichert hat – jene Bakterien, die Sauerstoff brauchen, sterben ab und anaerobe Stämme übernehmen. Sie sorgen für die typischen modrig-fauligen Gerüche; der See „kippt um“ – Fische und aerobe Bakterien können hier nicht mehr überleben.
„Wenn ich mit einer langen Angel bis zum Grund eines Gewässers gehe und dort eine Probe entnehme, kann ich ganz leicht riechen, ob hier noch Sauerstoff vorhanden ist“, erklärt Georg Riegger. Wenn es hier nach anaeroben Fäulnisprozessen riecht, verkauft er den Teichbesitzern keine Fische, sondern empfiehlt zunächst eine technische Belüftung des Gewässers. Dann hat es sich bewährt, im ersten Jahr Rotfedern anzusiedeln, und erst, wenn dieser Bestand sich innerhalb von zwei oder drei Jahren etabliert hat, wird die Ansiedelung von Karpfen und Hechten funktionieren. Die gemischte Fischpopulation wiederum wirkt sich dann auch stabilisierend auf das gesamte Ökosystem aus. Insbesondere Karpfen suchen gern im Unterboden nach Nahrung, graben diesen regelrecht um, fressen Bodennahrung und beugen damit dem Umkippen eines Gewässers vor.
Die Komplexität des Ökosystems steht bisweilen im Widerspruch zu den unmittelbaren Wünschen der Anglervereine. Wusste früher noch jeder Angler, wie man verschiedene Fischarten zerlegt und zubereitet, beobachtet Georg Riegger heute: „Nach dem Fang werden fast nur noch Zander, Barsch und Hecht verwertet, die Karpfen will man überhaupt nicht mehr verwerten, sondern sich nur am Fang freuen und ihn dann sofort wieder freilassen.“
Bisweilen macht sich bei Vorsitzenden von Anglervereinen Enttäuschung breit, wenn sie eigentlich sofort eine Ladung junger Karpfen kaufen wollen und stattdessen eine Empfehlung für einen mehrjährigen Plan zum Aufbau einer gemischten Fischpopulation erhalten. Das Warten auf die Karpfen wird jedoch belohnt mit einem gesunden Gewässer, das ein stabiles und vielfältiges Ökosystem beheimatet. Und so hat der Rat des erfahrenen Fischzüchters schon so manchen Stammkunden begeistert, der die Kunde vom „Fischflüsterer“ auch an den Anglerverein im Nachbarort weiterträgt