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Sprache formt unser Denken und prägt somit unsere Wahrnehmung von Wirklichkeit. Dieser Zusammenhang wird häufig kontrovers diskutiert, wenn es um das Thema Gendergerechtigkeit geht. Nur selten hingegen wird über die Wirkmacht von Sprache nachgedacht, wenn es darum geht, die Situation von Bäuerinnen und Bauern ab Mitte des 20. Jahrhunderts zu beschreiben. Anders verhielt es sich im Vortrag von Dr. Peter Moser, Leiter des Archivs für Agrargeschichte, Bern, beim Höfe-Festival 2024 von Marktplatz LandKultur mit dem Titel „Von Bäuerinnen, Landwirten und Bauern. Begriffe als Werkzeug und Herrschaftsinstrument beim Reden über agrarische Vielfalt“.
Wie der Bauer zum Landwirt wurde: eine kurze Begriffsgeschichte
Der Schweizer Historiker und Spezialist für Agrar- und Ernährungsgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert, forscht unter anderem zum Wandel der agrarischen und der industriellen Arbeit, der mit einem Wandel der Sprache einhergeht. In einem ersten Schritt erzählte Moser in Kirchzarten von der Entstehungsgeschichte der Wörter farmer im Englischen und Landwirt auf Deutsch. Diese Begriffe entstanden nicht etwa zufällig in verschiedenen Sprachen genau zu jenem Zeitpunkt, als mit dem Vorrücken der Industrialisierung die Logik einer industriellen Fertigung und Wirtschaftsweise auch auf den ländlichen Raum übergriff. Moser macht deutlich, schon mit dieser sprachlichen Veränderung habe ein Wandel in der Wahrnehmung von bäuerlicher Wirklichkeit stattgefunden.
Problematisch seien dabei einerseits die hinter den Begriffen Landwirtschaft und Landwirt liegenden Annahmen, bäuerliches Wirtschaften könnte denselben Gesetzen, Zyklen und Dynamiken folgen wie jedes andere Unternehmertum auch. Andererseits sei zu beobachten, wie in erstaunlicher Konsequenz – da das frühe 20. Jahrhundert noch keine Unternehmerin kannte – auch die Bäuerin schlicht und ergreifend aus der Sprache verschwand. Wer, wie Moser, zu hoch interessanten Frauenfiguren wie Elisabeth Bobbett aus dem irischen Wicklow forsche, der treffe daher immer auf ungelenke Umschreibungen wie „female farmer“.
Die Vereinnahmung des Bäuerlichen im Dienste der Industrialisierung
Dieser Prozess einer zunehmenden Vereinnahmung der bäuerlichen Kultur und des bäuerlichen Wirtschaftens durch Denk-und Wirtschaftsweisen der Industrialisierung habe über die letzten rund 150 Jahre ab den 1870er-Jahren stattgefunden. Dabei sei versucht worden, Unterschiede zu nivellieren, die derart grundsätzlich waren, dass diese Versuche zum Scheitern verurteilt gewesen seien, denn: Industrie verbraucht mineralische Ressourcen unter einem Dach; Agrarkultur nutzt lebende Ressourcen in der Fläche. Weil aber lebende Ressourcen die Grundlage des bäuerlichen Wirtschaftens darstellen, gelten dabei Gesetze, die einer andauernden und exakten Regulierung von Angebot und Nachfrage entgegenstehen. Um ein einfaches Beispiel zu bringen: Auch wenn es vielleicht im Februar die größte Nachfrage an Erdbeeren gibt, kann ein Bauer im Hochschwarzwald diese nicht vernünftig befriedigen.
Trotz dieser augenfälligen Andersartigkeit war die Vereinnahmung des Bäuerlichen durch die Industrialisierung durchaus erfolgreich. In einem ersten Schritt, bis Mitte des 20. Jahrhunderts, habe man noch das Agrarische im Kopf und das Industrielle bloß vor Augen gehabt. In einer nächsten Etappe dann, ab den 1950er-Jahren, habe man das Industrielle verinnerlicht und das genuin Bäuerliche nur noch zu Weilen vor Augen gehabt.
Dabei waren die Absichten sicherlich die Besten, galt das Städtische und Industrielle doch als angenehm und bequem, das Land und die Agrikultur als unangenehm und unbequem. Durch die industrielle Umdeutung des Bäuerlichen im Sinne einer Land-Wirtschaft sollte dieser Gegensatz ein für alle Mal zum Wohle aller überwunden werden. Nicht zuletzt, weil diese Umdeutung zum Scheitern verurteilt war, weil bäuerliches Wirtschaften immer wieder zwangsläufig gegen eine industrielle Logik verstoße, werde Landwirtschaft heute permanent als minderwertig, optimierungsbedürftig und defizitär beschrieben.
Agrarische Kultur und die Grenzen des Wirtschaftsliberalismus
Jedoch zeigt sich vielfach deutlicher Widerstand gegen die Vereinnahmung der bäuerlichen Kultur durch die industrielle Logik. So habe sich Bauer und Bäuerin als Selbstbezeichnung bewahrt, während Landwirt und Landwirtin lediglich als Betriebsbezeichnungen in offiziellen Kontexten bemüht würden. Die Problematik hört jedoch keineswegs bei diesen Begriffspaaren auf: Mit dem Überstülpen einer liberalen Wirtschaftsdenke auf das Agrarische seien weitere ungleiche und ungesunde Verbindungen entstanden – so etwa zwischen Nutzen (= bäuerlich) und Verbrauchen (= industriell) oder zwischen Ertragswert (= bäuerlich) und Verkehrswert (= industriell).
All diese Oppositionen offen zu benennen und zu diskutieren, birgt deshalb viel Sprengkraft, weil sich plötzlich nicht mehr Stadt und Land bzw. Stadtbevölkerung und Bauern und Bäuerinnen als vermeintlich unvereinbar gegenüberstehen, woraus nichts als sozialer Unfrieden entsteht; stattdessen werden die Grenzen eines häufig als alternativlos beschriebenen Wirtschaftsliberalismus offensichtlich, der zu kurz denkt, um den Herausforderungen und Bedürfnissen der regionalen bäuerlichen Kultur gerecht zu werden. Nur wer die Dominanz von Ökonomie und Industrie in diesem Zusammenhang überwinde, habe die Möglichkeit, agrarische Kultur in all ihren Aspekten differenziert zu betrachten, meint Moser. Könnten die auf diese Weise erkannten und respektierten Eigenarten gültig bleiben, wäre das Gespann von Industrie und Agrarbereich ein deutlich fruchtbareres. Vielleicht liegt in diesem Vorschlag Mosers der Ausgangspunkt für eine ganz andere Agrarpolitik.
Weitere Informationen zu Dr. Peter Moser und dem Institut Archiv für Agrargeschichte finden Sie hier:
https://www.histoirerurale.ch/afa/index.php/de/ueber-uns