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2. Gespräch in der Jurte

Eigene Produkte vermarkten – mit Blick über den Tellerrand

von Katja Brudermann, 28. Juli 2023 Wie lassen sich die eigenen landwirtschaftlich erzeugten Produkte kostendeckend vermarkten? Die Frage ist für Erzeuger so alt, dass es an der Zeit ist für neue Herangehensweisen. In einer branchenübergreifenden Gesprächsrunde entstehen neue Antworten.
Eigene Produkte vermarkten – mit Blick über den Tellerrand
Marktplatz LandKultur

Auf der Suche nach innovativen Ideen zum Thema landwirtschaftliche Direktvermarktung trafen sich zu einer zweiten Gesprächsrunde in der Jurte verschiedene Expertinnen und Experten. Moderiert von Katja Brudermann stellten die Teilnehmer und Teilnehmerinnen sich und ihre Perspektive auf das Thema zunächst vor:

Antonia Kitt, Obstbäuerin und Direktvermarkterin aus Überlingen: „Ein Einkauf von Lebensmitteln hat viel weiter reichende Folgen als nur der eigene gefüllte Kühlschrank. Viele Kaufentscheidungen haben unmittelbaren Einfluss darauf, wie unsere Region aussieht. Wir Menschen sind Teil der Landschaft – das möchte ich vermitteln.“

Ria Erhardt, Fachfrau für bewusste Kinderernährung und Leiterin eines Selbstversorger-Bauernhofs mit pädagogischen Angeboten aus Kressbronn: „Ich möchte in erster Linie ganz praktische Kompetenzen vermitteln. Wer bereits als Kind lernt, mit den eigenen Händen Gemüse zu pflegen, zu ernten und zu verarbeiten, der wird als Erwachsener auch eher direkt beim Erzeuger einkaufen statt im Discounter.“

Christoph Schwarz, Unternehmensberater mit Erfahrung in der Lebensmittelindustrie aus Landau: „Dass eine gesunde Ernährung einen ganz unmittelbaren Einfluss auf den eigenen Körper hat, vielen Krankheiten vorbeugt und das Wohlbefinden steigert – das ist vielen Menschen noch zu wenig bewusst. Im Marketing, aber auch in Medien und Politik kann man diese Zusammenhänge stärker vermitteln.“

Christoph Wasser, Gründer der Online-Plattform „Marktplatz LandKultur“ aus Buchenbach: „Wir müssen alle lernen, einen Schritt zurückzugehen, unser eigenes Handeln zu reflektieren und die Frage zu stellen, wie wir dem großen Ganzen dienen können. Nur so können wir die Kluft überwinden, die zwischen Erzeugern und Verbrauchern besteht.“

Oliver Heine, Inhaber der Wildnisschule „UrNatur“ in Freiamt: „Ich verstehe mich als Verbindungs-Arbeiter. In unseren Kursen vermitteln wir die Verbindung jedes Einzelnen zu sich selbst, zu seinen Mitmenschen und zur Natur. Erfahrungsgemäß tun sich damit Lösungsansätze für sehr viele Probleme auf – persönlicher, beruflicher oder auch gesellschaftlicher, globaler Natur.“

Regionale Landwirtschaft stärken – eine Aufgabe nicht nur für Erzeuger
Nach der Vorstellungsrunde entfaltete sich schnell eine angeregte Diskussion, aus der deutlich wird: Die Direktvermarktung eines Erzeugers hat eine Dimension, die über die Entwicklung eines soliden Businessplans hinausreicht. Es ist nicht zu übersehen, dass regionale Lebensmittel aus kleinbäuerlichen Strukturen preislich bei Importwaren nicht mithalten können und die Anzahl landwirtschaftlicher Betriebe seit Jahrzehnten rückläufig ist. Eine standortangepasste Landwirtschaft in unserer Region ist sinnvoll und wichtig, ihr Erhalt ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die nur dann gelingt, wenn Erzeuger, Politiker, Medien und jeder einzelne Verbraucher einen Beitrag dazu leistet.

Die Rolle der Verbraucher
Im weiteren Verlauf der Gesprächsrunde kristallisiert sich ein Bild der idealen Kunden heraus die durch ihr Einkaufsverhalten zum Erhalt der regionalen Landwirtschaft beitragen. Diese Verbraucher ...
* verfügen über den finanziellen Spielraum, regionale Lebensmittel zu kaufen und die Mehrkosten im Vergleich zum Discounter leicht zu tragen;
* besitzen solide Kochkenntnisse und wissen, wie sich heimische Gemüsearten, Fleischprodukte etc. zubereiten lassen;
* haben ausreichend freie Zeit, um in Ruhe zu kochen;
* wissen um den Wert der örtlichen Landbewirtschaftung und, dass der „Aufpreis“ der heimischen Produkte an sich kein Aufpreis ist, sondern ein Beitrag zum Erhalt von Lebensmittelsicherheit und Kulturlandschaft;
* sind informiert über die Anbaumethoden der Bauern vor Ort und überzeugt, dass dieser nach bestem Wissen und Gewissen sowie zum Wohl von Mensch, Tier und Natur handelt.
Dabei wird deutlich: Es ist für den Erhalt der regionalen Betriebsstrukturen nicht wichtig, ob Verbraucher im Hofladen, auf dem Wochenmarkt oder auch im Einzelhandel oder Online-Shop einkaufen. Entscheidend ist, dass sie gezielt zu den Produkten greifen, für welche die Erzeuger nachhaltig kostendeckende Erlöse erzielen.

Die Crux ist: Es gibt zwar Verbraucher mit dem entsprechenden Einkaufsverhalten, aber es sind generell zu wenige. Und damit gilt es umzugehen, was jeder der Anwesenden auf seine Weise tut. Mit neuem Logo, einem erweiterten Sortiment und diversen Angeboten für Schulklassen versucht Antonia Kitt, sich am Markt zu behaupten und zumindest einen realen Teil der Apfelernte direkt zu vermarkten – der Großteil geht an die Genossenschaft. Über diese gehen zwar große Mengen über die Ladentheken, aber zu Preisen, die für die Erzeuger oft zu niedrig sind Denn auch der Handel hat nach wie vor mit der in Deutschland in allen gesellschaftlichen Schichten stark verbreiteten Mentalität zu kämpfen, dass Lebensmittel vor allem eins sein sollen: billig.Menschen wie Ria Erhardt, Oliver Heine und Christoph Wasser arbeiten im Rahmen ihrer Möglichkeiten daran, den Anteil der Verbraucher zu vergrößern, die durch ihre Einkäufe die heimische Landwirtschaft unterstützen, indem sie praktische Kompetenzen vermitteln, landwirtschaftliche Zusammenhänge für Stadtmenschen nachvollziehbar erklären oder auch allgemein die Verbindung zur Natur stärken.

Gemeinsam Ziele erreichen und zugleich Individualität bewahren
Christoph Schwarz beschäftigt insbesondere die Frage, wie Landwirte als Gesamtheit stärker unterstützt werden können: „Es braucht nicht nur eine gute Kommunikation von den Erzeugern zu den Verbrauchern – ebenso wichtig ist, dass Landwirte beispielsweise Zugriff auf aktuelle Verbraucherzahlen haben und professionell beraten werden, welche Schlussfolgerungen sie daraus für ihre Betriebe ziehen können. Um die Landwirtschaft als tragende Säule unserer Gesellschaft zu bewahren, sind aus meiner Sicht funktionelle, übertragbare Konzepte notwendig. Es kann ja nicht sein, dass nur die Betriebe überleben, die von wenigen, besonders innovativen Landwirten geführt werden.“

Die Suche nach übertragbaren Konzepten ist nicht unkritisch – zu einzigartig ist jeder landwirtschaftliche Betrieb, geprägt von der Landschaft, der Bevölkerung in der Umgebung und den Persönlichkeiten der Betriebsleiterfamilien. Und ist es nicht gerade dann, wenn der Markt eng ist, umso wichtiger, dass jeder seine individuelle Marktnische findet? Antonia Kitt widerspricht dem nicht unbedingt, fügt aber hinzu: „Ich glaube, dass es von Vorteil wäre, wenn wir Landwirte eine gemeinsame Stimme finden könnten, die uns alle vereint. Dann hätten wir in der Gesellschaft sicher einen besseren Stand als lauter Einzelkämpfer.“ Oliver Heine ergänzt: „Aus anderen, nicht speziell landwirtschaftlichen Kontexten habe ich erlebt, dass viele Ideen und Konzepte, die Einzelne entdeckt haben, durchaus auf viele andere übertragbar sein können. Ich persönlich bevorzuge dabei die Ideen, die an der Basis, bei den Landwirten selbst, entwickelt wurden und sich von hier aus unmittelbar unter den Kollegen ausbreiten. Umwege über Politik oder Verbände scheinen mir oft sehr zäh – dafür fehlt mir die Geduld.“

Gemeinsam Ziele erreichen statt allein kämpfen – dieser Ansatz beginnt beim Miteinander der Landwirte und kann weit darüber hinausreichen. Die Anwesenden machen deutlich: Es gibt zwar Verbraucher, Behörden, Händler etc., die taub sind für die Belange der Landwirte – aber genauso gibt es Menschen in den unterschiedlichsten beruflichen und privaten Situationen, die sich Gedanken machen um die Unterstützung der Bauernhöfe, sich bereits auf ihre Art engagieren oder nur darauf warten, dass ihnen jemand aufzeigt, wie sie das tun könnten. Oliver Heine ist auf der Suche nach Standorten für seine Wildniskurse aktiv auf Landwirte zugegangen – doch es könnte ja auch anders herum sein: dass ein Landwirt von sich aus den Kontakt zu Kursanbietern sucht, um so die Verbindung zwischen Erzeugern und Verbrauchern zu verbessern.

Nachhaltigkeit als verbindendes Element von Erzeugern und Verbrauchern
„Für welche Werte stehen wir?“ Diese Frage ist für Christoph Wasser wichtig. Rasch landet die Diskussionsrunde da beim Thema Nachhaltigkeit: Sie ist für Erzeuger und Verbraucher gleichermaßen wichtig, aber nicht automatisch mit denselben Inhalten gefüllt. „Wenn wir seit Jahrzehnten Äpfel anbauen und ernten, und die Bodenqualität und die Insektenvielfalt auf unseren Flächen dabei erhalten bleibt oder sogar zunimmt, dann ist das doch ein Zeichen dafür, dass wir nachhaltig wirtschaften“, ist Antonia Kitt überzeugt. „Die Menge fossiler Brennstoffe, die in mehr oder weniger allen gängigen Formen der Landwirtschaft zum Einsatz kommt, finde ich enorm hoch. Hier habe ich große Fragezeichen an die Nachhaltigkeit“, gibt Oliver Heine zu bedenken. Und vermutlich fängt sie genau hier an, die so wichtige Verbindung zwischen Erzeugern und Verbrauchern. Im offenen Austausch über die eigenen Vorstellungen, Ideale und auch über die begrenzten Möglichkeiten, diese umzusetzen.

Interessante Kooperationspartner für Direktvermarkter – ein Überblick
Im Folgenden ein paar Ideen, in welchen – vielleicht zunächst ungewöhnlich klingenden –Bereichen Direktvermarkter nach neuen Kooperationspartnern Ausschau halten können:

* Private und öffentliche Anbieter von Kursen, die im weiteren Sinn mit Landwirtschaft zu tun haben – Kochkurse, Wildkräuterwanderungen, Naturerfahrung für Erwachsene und Kinder, bewusste Kinderernährung, Handwerk ...
* Mobile Verarbeitungsküchen, die von Hof zu Hof fahren und Ernteüberschüsse zu haltbaren Köstlichkeiten verarbeiten.
* Solidarische Einkaufsgemeinschaften, die es überwiegend in Italien, aber in kleinem Stil auch hier gibt: Mehrere Haushalte tun sich zusammen, um bei Bauern in der Umgebung gebündelt einzukaufen. Mengen und Preise in diesem Modell sind mit kleineren Wiederverkäufern vergleichbar.
* Inhaber so genannter Netzwerkunternehmen. Sie entwickeln Rezepturen für innovative Produkte – z.B. Backmischungen, Müsli oder Riegel. Sie kaufen Rohstoffe zu – je nach eigenen Idealen und Möglichkeiten zu fairen Preisen für die Lieferanten –, delegieren die Verarbeitung an Lohnunternehmer und kümmern sich darum, dass die Produkte im großen Stil im Einzelhandel verkauft werden.
* Online-Foren oder andere privat organisierte Medien. Manche von ihnen berücksichtigen die Perspektive der Erzeuger in ihrer Berichterstattung stärker als andere – mit diesen kann man gezielt das Gespräch suchen.

Generell sind Gesprächsrunden – unter Kollegen oder auch branchenübergreifend – ein geeignetes Mittel, um neue Kooperationen und gemeinsame Lösungsansätze zu finden, und sie lassen sich im eigenen Hofcafé oder Wohnzimmer organisieren. Vielleicht haben Sie ja schon Ideen, wen Sie dazu einladen könnten und welche Themen auf der Agenda stehen? Die Gespräche in der Jurte werden jedenfalls eine weitere Fortsetzung finden.

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